Mittwoch, 26. Januar 2011

Einer meiner Anzüge aus Stoff von Scabal


Ich muss etwas gestehen. Bei dem Abend im Adlon bei Scabal trug ich einen Anzug, der nicht aus Scabal-Stoff geschneidert war. Matthias Rollmann hat das gleich gesehen. Weil er sich halt auskennt. Aber er hat es sportlich gesehen. Dabei besitze ich durchaus Anzüge aus Stoffen des belgischen Tuchhauses. Die sind leider alle nur zu hell für eine Abendveranstaltung. Deshalb hier nun als Ergänzung ein Bild einer meiner Anzüge aus Scabal-Stoff. Geschneidert von John Coggin, fotografiert von Christian Kerber.

Dienstag, 25. Januar 2011

Das Knowledge Book von Scabal. Thank you for sharing















Foto: Gero Breloer

Mit Maßkonfektion ist es so eine Sache. Für den Händler und für den Kunden. „Asking for trouble“ wäre eine Umschreibung, die es oftmals trifft.

Nehmen wir an, der Kunde X. aus Y. trägt jahrelang eine Anzugmarke, ist mit Schnitt und Passform zufrieden, kommt vom Kürzen der Ärmel abgesehen bestens mit seiner Größe aus. Eines Tages lädt ihn sein Herrenausstatter zu den nächsten „Maßtagen“ eben jener Anzugmarke ein. X. geht hin, genießt Wein oder Prosecco, kommt in Laune und ordert einen Anzug nach Maß. Der Verkäufer zieht alle Register, springt mit dem Maßband um ihn herum, fragt nach Vorlieben beim Sitz der Jacke oder bei der Länge der Hose und empfiehlt diesen oder jenen Stoff. Der Kunde freut sich, geht nach Hause und wird dann ein paar Wochen darauf per Brief oder Anruf informiert, dass der Anzug da sei.

Erwartungsfroh eilt er ins Geschäft, die Jacke wird ausgepackt und er schlüpft hinein. Und nun das böse Erwachen: „Die Jacke hat ja drei Knöpfe!“ Der Verkäufer erblasst, bleibt aber cool: „Das haben Sie so bestellt.“ Der Kunde ist entgeistert und leugnet. Und schon beginnt der Streit. Wäre Herr X. bloß bei der Jacke von der Stange geblieben.

Die Geschichte muss natürlich nicht so ausgehen. Wenn alle Beteiligten auf Seiten des Händlers ihr Handwerk verstehen und der Kunde nicht zu viel Wein oder Prosecco trinkt, mithin also klaren Kopfes bei der Sache ist, können alle glücklich werden. Denn der Kunde bekommt zwar ein Kleidungsstück, das möglicherweise nur unwesentlich vom Stangenmodell abweicht, dafür aber das gute Gefühl, einen sartorialen Solitär zu besitzen.

Die in Brüssel ansässige Firma Scabal, bekannt als Lieferant luxuriöser Stoffe und laut eigener Angabe Deutschlands erfolgreichster Maßkonfektionsanbieter, kennt die mit der Einzelanfertigung einhergehenden Probleme. Sie weiß, dass manche Händler Formulare nachlässig ausfüllen oder statt eines Formulars eine Skizze durchfaxen. Sie kennt unleserliche Handschriften in allen Varianten und musste auch schon kyrillische Schriftzeichen decodieren. Wenn dabei dann ein Fehler passiert, fällt das natürlich nicht auf den Schreiber zurück, vielmehr ganz allein auf den Leser, also den Maßkonfektionär.

Um Probleme und Enttäuschungen zu vermeiden, investieren seriöse Unternehmen wie Scabal viel in die Schulung und Weiterbildung der Kunden. Es gibt Seminare, Einweisungen und sogar Besuche in den Werkstätten. Und seit kurzem auch noch das „Knowledgebook“, eine dicke Loseblattsammlung in einem mit blauem Stoff überzogenen Ordner. Sie enthält das in Jahrzehnten gesammelte Erfahrungswissen der Maßschneider, Modellmacher, Textilingenieure, Stoffdesigner, Stylisten und Verkäufer des Hauses. Wer als Maßkonfektionsanbieter dieses Buch liest und beherzigt, wird selig werden.

Scabal-Direktor Matthias Rollmann, das Buch des Maßwissens und ich (Foto: Gero Breloer).

Scabal übergab diesen Schatz am 19. Januar 2011 im Berliner Hotel Adlon an eine ausgewählte Schar von Geschäftspartnern. Jeder der geladenen Gäste bekam sein persönliches Exemplar von Matthias Rollmann überreicht, auf Wunsch gab es auch noch eine persönliche Widmung. Natürlich ganz stilvoll mit Füllfederhalter. Scabal, thank you for sharing!

Bernhard Roetzel

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Sonntag, 23. Januar 2011

Die PREMIUM in Berlin im Januar 2011 - was vom Messetage übrig blieb

Belvest aus Piazzola sul Brenta glaubt an Karos und Dreiteiler (Foto: Belvest).

Die Berliner Modewoche umfasst mehrere Messen und zahlreiche Schauen. Ich hatte in diesem Frühjahr nur Zeit für zwei kurze Besuche auf der PREMIUM. Dabei habe ich mich ausschließlich auf der oberen Etage bewegt, also im eher klassischen Bereich. Da ich fast an jedem Stand Freunde oder Bekannte treffen, ist mir ein systematischer Messebesuch allerdings nicht möglich. Ich könnte zwar überall nur kurz verweilen, um in einem Tag alle Stände abzuklappern, da ich jedoch im eigenen Auftrag unterwegs war, habe ich mir die Freiheit genommen, vollkommen willkürlich und von Augenblickslaune und Zufall gesteuert umherzuschlendern. Meine Eindrücke von der Messe entbehren deshalb auch jeder Vollständigkeit und sind extrem subjektiv.

Zunächst zur Kleidung der Aussteller und Besucher. Die Hosen überwiegend schmal und kurz, die Sakkos bedecken selten noch das Gesäß. Krawatten sind eine Rarität, stattdessen herrscht gepflegte Lässigkeit, auch bekannt als "smart casual". Also der mittlerweile sattsam bekannte Schal anstelle des Binders. Nur wenige zeigten sich mit korrekt gebundener Krawatte. Einer von ihnen war Wolfgang Siek, Inhaber des Herrenausstatters Backs & Co. aus Bad Oeynhausen. Er beklagte, dass die meisten Kollegen aus der Branche so wenig Eleganz an den Tag legten. Von Umberto Angeloni, der höchstpersönlich am Stand von Caruso anwesend war, konnte man das nicht sagen. Er demonstrierte in seinen blauen Anzug sehr überzeugend, dass sich Modernität und Förmlichkeit nicht ausschließen. Der Aachener Schuhdesigner Dieter Kuckelkorn gehört ebenfalls zur rar gewordenen Spezies des elegant gekleideten Modemachers. Seine Erscheinung im Flanell-Dreiteiler mit roten Kreidestreifen wirkte raffiniert und hob sich angenehm ab vom üblichen Look.

Da ich derzeit das weitere Beinkleid sehr liebe und eine Rehabilitierung der Bundfaltenhose prognostiziere, sprach ich Matthias Rollmann, Direktor bei Scabal, auf seine Hosen an. Und siehe da, auch sie waren mit einer Bundfalte ausgestattet. Die meisten Modeleute signalisierten jedoch allenfalls aus Höflichkeit Zustimmung zu meiner These, die meisten glauben weiter an die Hose mit flachem Bund. Ins Auge fiel mir bei Scabal das schneidermäßig verarbeitete Spitzenanzugmodell No. 12 Savile aus sardischer Fertigung. Ich denke, dass die Qualität sich auf dem Level von d' Avenza oder Brioni bewegt, die Modelle sind italienisch ausgeformt aber gut auf den deutschen Leib abgestimmt.

Bei Belvest empfingen Andreas Kauers als Abgesandter aus Italien und der deutsche Agent Blasius Marx die Kunden und Interessenten. Auf die Anzugfirma aus Piazzola sul Brenta wurde ich erstmals Ende der Neunziger Jahre durch den Krawattenmacher Michael Drake gestoßen. Er bezog schon damals einen großen Teil seiner Anzüge aus der Manufaktur, die für namhafte Luxushäuser fertigt. In Deutschland Belvest z. B. bei dem Kölner Herrenausstatter Flüss & Fischer zu haben. Meine persönlichen Erfahrungen mit den Anzügen sind sehr gut, die Qualität ist hoch und die Fehlerquote lag bei Maßbestellungen bisher bei 0 Prozent.

Der Hemdenmacher Emanuele Maffeis ist in Deutschland selbst vielen Kennern immer noch unbekannt. Das liegt vermutlich an der Dominanz neapolitanischer Label, als Hersteller aus Bergamo wird man da schlicht nicht so richtig beachtet. Dabei ist die Qualität des Produkts hoch. Mit Paolo Maffeis sprach ich über die unterschiedlichen Auffassungen von Passform in Deutschland und Italien. Bei uns dominiert die Slimfit-Form zwar die jungen Sortimente, der Deutsche an sich bevorzugt nach wie vor die etwas weitere Form. In Italien ist wenigstens im gehobenen Genre eher der körpernahe Schnitt mit Abnähern am Rücken üblich. Meine persönliche Vorliebe für weiche, unfixierte Kragen geht eher in die italienische Richtung, der deutsche Käufer empfindet sie in der Regel als zu wellig und damit ungepflegt. Allerdings ist es eine Mär, dass alle Italiener den weichen Kragen lieben, auch dort empfinden viele Geschäftsleute den glatt geklebten Kragen als korrekter.

Francesco Maglia beklagte wie in jedem Jahr den Niedergang der Schirmkultur und die Konkurrenz aus China, zum Glück scheint es trotzdem noch genügend Kunden für sein scheinbar altmodisches Produkt zu geben. Der in Modekreisen geradezu berühmte „ombrellaio“ zeigte für den kommenden Herbst einige Modelle mit in farbigen Ledersorten bezogenen Griffen. Daneben natürlich auch die bewährten Klassiker für den Herrn mit durchgehendem Stock und schwarzem Bezug. Francesco Maglia selbst präsentierte sich wie immer als die italienische Interpretation des englischen Gentleman mit karierten Tweedhosen und neuerdings einem Zwicker.

Bernd Kreis macht an seinem Stand starken Eindruck mit hochwertig verarbeiteten Aktentaschen. Ein Bügelmodell gibt es noch nicht, dafür verschieden Mappenvarianten. Englandfans mögen immer noch Swaine Adeney vorziehen, in Sachen Qualität und Vielfalt an Optionen für die Einzelanfertigung übertrumpft der kleine Anbieter aus Obertshausen bei Frankfurt am Main meines Erachtens die Briten ganz eindeutig. Das scheinen auch die Einzelhändler zu honorieren, die Taschen sind laut Kreis jedenfalls ein stark wachsendes Segment neben den Gürtel und Kleinlederwaren. Sehr verlockend auch die Leibriemen aus Exotenledern mit geschmackvollen Schließen aus Silber oder sogar Weißgold. Sichtbare Logos gibt es nicht, für Prahlhänse sind Kreis-Gürtel also nichts. Eher etwas für Leute, die den Preis ihrer Accessoires lieber nicht publik machen möchten.

Da ich an beiden Tagen Kinder mit zur Messe gebracht hatte, suchte ich für sie Unterhaltung. Sakkos und Gürtel sind nun mal wenig attraktiv für Schulmädchen. Umso interessanter war der Indianer Greg Dreaver aus Kanada am Stand seines Schuhlabels Manitobah. Von ihm lernte ich, dass man zunächst einmal mehr gar nicht "Indianer" sagt, er selbst nennt sich und seine Landsleute "first people". Außerdem erklärte er mir die große Bedeutung des Adlers. Weil der nämlich hoch am Himmel fliegt, kommt er dem höchsten Wesen der "first people" nah und wird deshalb verehrt. Die Schuhe, die der trotz des Stammesgewandes sehr geschäftstüchtig wirkende Kanadier anbot, basieren auf uralten Formen seiner Kultur. Für das sportliche und modische Sortiment interessant und teilweise durchaus kompatibel mit klassisch amerikanischer Sportswear.

Meine Vorliebe für Hosen mit Bundfalten demonstrierte ich auch am zweiten Messetag. Ich hatte einen Einreiher aus einem eher leichten Stoff von Reid & Taylor gewählt, da es doch recht warm in der Halle war. Wiederum bei Scabal wurde die Berliner Maßkonfektionsanbieterin Isa von Massenbach auf mein von englischen Hosenträgern gehaltenes Beinkleid aufmerksam. Als Freund traditionell gefertigter Kleidung durfte ich bei Scabal, einem Stoffhaus, das die besten Schneider der Welt beliefert, ruhig ein Loblied auf das Handwerk der Kleidermacher singen. Immerhin liefern die einem immer noch Hosen, die bei Konfektionären kaum zu bekommen sind.

Bernhard Roetzel

Montag, 17. Januar 2011

Die zehn wichtigsten Kleidungsstücke für den Herrn

Zwei der zehn wichtigsten Teile sind hier schon zu sehen: Sportsakko und Raulederschuh (Foto: Bernhard Roetzel).

10 Kleidungsstücke, die in den Schrank des modernen Gentleman gehören

1. Der dunkelblaue Einreiher

Der dunkle Anzug schlechthin für Business und feierliche Anlässe jeglicher Art. Aber auch gut für den Restaurantbesuch.

2. Das Sportsakko, z. B. aus kariertem Tweed

Wenn andere Kapuzenshirt oder Daunenweste tragen tritt der Gentleman im Sportsakko auf. Ideal für alle Anlässe, die ein wenig Form verlangen.

3. Der klassische Regenmantel

Ob Trench oder Slipon ist egal, Hauptsache der Mantel wurde in England aus echtem Baumwollgabardine geschneidert.

4. Der blaue Blazer

Mit dunkelgrauer Wollhose ist ideal für Businessreisen, mit hellen Chinos perfekt für smarte Freizeitanlässe. Das modische Schweizer Taschenmesser.

5. Der Smoking

Einen Herrn erkennt man daran, dass er einen Smoking besitzt und ihn auch zu tragen weiß. Natürlich immer in Schwarz oder Mitternachtsblau und ausschließlich mit schwarzer Schleife (selbstverständlich selbst gebunden).

6. Das blaue Hemd.

Weiße Hemden sind abends angebrachter, ansonsten ist hellblauer Stoff perfekt für alle anderen Gelegenheiten. Und er steht jedem gut zu Gesicht.

7. Der Pullover mit V-Ausschnitt.

Er ist die Freizeituniform des Gentleman. Wichtig: Immer mit Hemd tragen, wenigstens aber mit Poloshirt.

8. Die Khaki-Chino.

Die Amerikaner haben der Herrenmode mit der Khaki-Chino eines der großartigsten Kleidungsstücke geschenkt. Sie verkörpert den smarten Casuallook. Mit Blazer, Hemd und Krawatte oder einfach nur Hemd und Pullover.

9. Der schwarze Oxford.

Natürlich rahmengenäht und gut geputzt. Der Gentleman besitzt davon mindestens ein Paar. Traditionalisten tragen ihn nicht nur zum Anzug sondern auch zum Freizeitoutfit in der Stadt. Auf Hochglanz poliert passt er sogar zum Smoking.

10. Der braune Raulederbrogue.

Sneakers, nein Danke! Der Gentleman trägt außer Dienst braune Rahmengenähte, am liebsten aus Rauleder. Die sehen sommers wie winters gut ausseht und erfordern minimalen Pflegeaufwand.

Bernhard Roetzel

Sonntag, 16. Januar 2011

Der Gentleman-Plattenspieler

DJ Hell gilt als einer der besten DJs weltweit und seine Meriten sind wahrlich beeindruckend. Seit fast 30 Jahren ist er im Geschäft, hat gerade sein fünftes Album herausgebracht, beschallt die Schauen von Modeschöpfern wie Donatella Versace, Dirk Schönberger oder Michael Michalsky. Er wurde von Karl Lagerfeld abgelichtet, GQ wählte ihn 2003 zum „Man Of The Year“ und bei der Party zum 50. Playboy-Jubiläum ließ er höllisch die Puppen tanzen. Hell kooperiert mit Größen der Musikwelt wie z. B. Sean „Diddy“ Combs, Grace Jones oder Alan Vega, jettet von Party zu Party durch die Welt, tritt eine Nacht in Miami auf und zwei Tage später in Deutschland. Wie spricht man ihn an? „Guten Tag, Herr Hell“? Oder mit dem Namen, der in seinem Pass steht? Helmut Josef Geier? Wird ihn das verärgern? Stopft sein Bodyguard den frechen Frager dann in die nächste Mülltonne?

„Ich bin Hell“, stellt sich ein distinguiert wirkender Mittvierziger mit blondem, zurückgestrichenen Haar und kurz geschorenem Schnurrbart vor – und bietet gleich das Du an. Ist das der coole Typ von den Fotos? Die Modeikone aus den Hochglanzblättern? Sportlich und wettergegerbt sieht der in Altenmarkt an der Alz geborene Bayer aus, aber nicht wie jemand, der seit 30 Jahren die Nächte durcharbeitet. Vielleicht liegt es an der Art von Bräune, die kein Solarium so hinkriegt. Leicht unregelmäßig und gemischt mit Sommersprossen. So einen Teint haben Leute, die viel im Freien sind. Und dann noch dieser leichte Dialekt. Man könnte ihn direkt für eine Gastrolle in der BR-Daily „Dahoam is dahoam“ casten. Einen Bodyguard hat er übrigens nicht dabei, nur einen höflichen jungen Mann, der vermutlich als sein Assistent fungiert.

Hell trägt einen hochmodischen Look aus blauem Samtsakko, blaugrauem Hemd, einer schmalen Wollkrawatte, grauen Röhrenjeans und schwarzen Lack-Winklepickers. Der DJ ist Anzugfan, liebt Mode und mixt für seine Looks Kleidung unterschiedlichster Provenienz: „Ich kombiniere aus Second-Hand, Military, Oldtime-Favourites, Klassikern und ein paar Designersachen. Aber nicht so plakativ, das mag ich nicht. Das Sakko hier ist z. B. von Yves Saint Laurent. Es ist schon fünf Jahre alt, aber einfach perfekt.“ Für Auftritte wählt er aus praktischen Gründen meist das klassische DJ-Outfit aus Jeans und T-Shirt. Bei einem Anzug hätte er immer ein schlechtes Gefühl, wenn er die Jacke irgendwo ablegt. Das Risiko, dass sie Schaden nimmt oder wegkommt, ist zu groß. Nach ausgefallenen Teilen zu stöbern, macht ihm einen Heidenspaß und wenn er in Paris zu tun hat, nimmt er sich trotz des Termindrucks nach Möglichkeit immer Zeit fürs Shoppen, z. B. bei Colette, der Mutter aller Trendboutiquen. Oder er geht direkt zu seinem Lieblingsdesigner Martin Margiela, in dessen Kollektion wird er immer fündig. Sein Interesse an Mode empfindet Hell nicht als Widerspruch zu seinem Metier: „Musik und Fashion sind für mich eine Einheit.“

Manch einer wird jetzt vielleicht die Stirn runzeln. Ist das, was Hell veranstaltet, Musik? Wer sich nicht mit elektronisch erzeugten Klangkreationen auskennt und bei Techno an Scooter und seine Sirene denkt, würde Hell total falsch einordnen. Hell hat mit Scooter, DJ Ötzi & Co. so viel zu tun wie Herbert von Karajan mit dem Dirigenten einer Bierzeltkapelle. Hell bezeichnet sich im Gespräch zwar bescheiden als „DJ und Unterhalter“, er ist aber alles andere als einer von diesen Stimmungsmachern, die in Discos lahme Besucher mit unheimlich witzigen Sprüchen zum Tanzen animieren. „Ich bin Musiker, Produzent, Arrangeur und versuche, verständliche Musik zu machen, zu der die Leute tanzen,“ definiert Hell sein Wirken. Früher arbeitete er dabei auf der Bühne und im Studio als Einzelkämpfer, so wie es üblich war in der elektronischen Musik. Für sein neues Album hat er sich jetzt Musiker ins Boot geholt. „Ich habe das selbst ja nicht gelernt, deswegen lasse ich mir Hilfestellung geben. So wie David Bowie, der das sein ganzes Leben lang so gemacht hat mit Brian Eno.“

Hells Arbeitsweise ist mit der eines Filmemachers vergleichbar, der in einer Person Drehbuchautor und Regisseur ist. Denn trotz des Fremdinputs liegt die kreative Leitung beim deutschen Star-DJ: „Ich bin der Künstler und Entertainer.“ Sein neues Album enthält zwei CDs, eine für die Clubs zum Tanzen und eine zum reinen Hören. Hell ringt ein wenig mit Worten, als er die Musik beschreiben soll: „Sie ist – vorsichtig gesagt –für Fortgeschrittene, nicht mehr so einfach zugänglich.“ Bereits durch seine früheren Alben hat Hell sich einen Platz in der deutschen Kulturlandschaft erobert. So sieht es jedenfalls das Goetheinstitut. Wenn deutsche Musik im Ausland vorgestellt wird, ist Hell häufig dabei, z. B. in Mexiko, Brasilien und Japan. Von staatlicher Seite wahrgenommen zu werden und neben Modeschöpfern und Filmleuten die Kultur seines Landes darstellen zu dürfen, empfindet Hell als Auszeichnung. Im Gegenzug macht er dann auch finanziell einen Kompromiss: „Da fahre ich dann auch für wenig Geld hin, Goethe zahlt ja nicht die normale Gage.“

Hells cooles Image beruht in erster Linie auf seinem Namen. „Die Leute im Ausland denken oft, da kommt ein Riesenkerl, ein Monster. Die sind dann meistens überrascht, dass ich ein ganz normaler, gewöhnlicher Typ bin.“ Auf Fotos, die ihn bei der Arbeit zeigen, wirkt er unnahbar, doch Hell ist dann einfach konzentriert. Er weiß, dies wird oft missverstanden, doch er weigert sich, den Clown zu spielen: „Ich finde es peinlich, wenn Kollegen auf diese Art Aufmerksamkeit kriegen wollen.“ Hells Bild wird natürlich auch durch die Inszenierungen der Fotografen bestimmt. Auf einigen Aufnahmen aus der Vergangenheit erkennt er sich oft gar nicht mehr: „Wenn ich manche Fotos sehe, ist das schmerzhaft.“ Mittlerweile hat Hell gelernt, Shootings zu steuern. Dabei muss er oft mit den Fotografen kämpfen. Einmal wollte ihn jemand nackt ablichten – er schlug eine andere Inszenierung vor: „Das Thema war Andy Warhell. Das mochte sie am Anfang gar nicht, am Ende waren aber alle glücklich. Und es steht ja ihr Name unter dem Foto und sie hat wahnsinnig viel guten Response bekommen.“ Hell posiert in der Bilderserie mit der typischen Perücke des Pop-Art-Künstlers, zu seinen Füßen räkelt sich eine Frau.

Hells sportliche Erscheinung ist kein Zufall, sondern das Ergebnis lebenslanger Aktivität: „Bevor ich ins Nachtleben eingestiegen bin, war Sport für mich das Wichtigste. Ich war jeden Tag in irgendeinem Sportclub beim Training. Schützenverein, Tischtennis, Eishockey, Fußball. Ich war ein guter Tennisspieler, sehr guter Skifahrer, war da sogar Vereinsmeister, hab Langstreckenlauf gemacht, war Chiemgaumeister über die 3000-Meter-Distanz. Ich hab alles ausprobiert. Sport war meine Berufung.“ Wenn es seine Zeit zulassen würde, hätte Hell Lust, sich auf einen Marathonlauf vorzubereiten oder für den Dreikampf zu trainieren. Im Moment muss er sich aber auf regelmäßiges Fitnesstraining beschränken: „Ich bin im Leo’s in München, da habe ich einen Personal Trainer. Der achtet genau auf meine Schwachpunkte Rücken und Schulterbereich, weil ich immer gebückt arbeite.“ Dass der Bayer Hell in seinem Leben angeblich noch kein einziges Glas Bier getrunken hat, überrascht trotz seines fitten Äußeren ein wenig. Er sagt, er mag den Geschmack einfach nicht. Alkohol trinkt er momentan sowieso nicht, er ist Nichtraucher, ernährt sich gesund. Und seine oft kolportierte Vorliebe für Champagner? „Eine Zeitlang habe ich den gern bei meiner Arbeit getrunken, allerdings nur Nectar Impérial von Moët & Chandon.“ Davon ist er aber schon lange wieder abgekommen, heute tut es Wasser.

Als glamourös empfindet Hell seinen Job kaum noch, nicht nur wegen der physischen Probleme, die sich mit den Jahren eingestellt haben. Neben dem Rücken machen ihm z. B. auch die Ohren zu schaffen. Es sind auch die vielen Flugstunden, die im Lauf der Jahre zusammengekommen sind, das ständige Schlafdefizit, die zahllosen Wochenenden in den Clubs der Welt. Die nüchterne Beschreibung seiner Realität steht natürlich im Gegensatz zu dem, was die Medien zeigen. „Klar sieht das immer schön aus in Magazinen und auf Videos. Aber das ist ja auch, wie die Amis sagen, ready to fake.“ Ihm ist bewusst, dass er statistisch gesehen den Traum der meisten männlichen Jugendlichen lebt: „70 Prozent nennen meinen Job, wenn sie nach ihrem Berufswunsch gefragt werden.“ Neueinsteigern rät er dazu, einen eigenen Stil zu kreieren, statt bekannte Künstler zu kopieren. So wie er es selbst seit dreißig Jahren macht: „Nach so langer Zeit im Business ist ziemlich deutlich, was ich mache, aber ich breche das immer wieder. Anders würde es für mich wenig Sinn machen.“

Hell liebt das Stadtleben, trotzdem wünscht er sich einen Rückzugsort auf dem Land, am liebsten in seiner Heimatregion am Chiemsee. Dort sucht er schon seit langem nach einem alten Bauernhof, den er nach seinem Geschmack umgestalten würde. Da er bisher nicht fündig geworden ist, erwägt er eine Übergangslösung: „Irgendwas, in das ich nicht viel investiere. Da könnte ich sein, bis das richtige kommt.“ Da Hell sehr auf minimalistisches Design steht, wäre Selberbauen auch eine Option, allerdings steht ihm da der Ordnungssinn des Gesetzgebers im Wege: „In dem Kreis sind Dächer mit Giebel ein Muss.“ Deshalb hat er sich auch von der Idee verabschiedet, ein Fertighaus aus Kalifornien liefern zu lassen. „Viel Glas und alles offen, das wäre genau mein Geschmack. Aber sowas kann man da nicht in die Landschaft stellen.“

Zu Hell gehören auch die schnellen Autos, auf vielen Fotos ist er in schnittigen Schlitten zu sehen. Als Sportler ist er ein Mann der Geschwindigkeit und als Künstler ein Designfan, gelungene Fahrzeuge liegen ihm deshalb. Allerdings konnte er sich Nobelkarossen in den Anfangsjahren nicht leisten. „Ich hatte immer Schrottkisten, die nur noch ein Jahr TÜV hatten. Wie das so ist bei jungen Menschen. Da konnte ich gar nicht schnell fahren. Später bin ich irgendwann auf BMW gekommen, durch ein Sponsoring, und seitdem fahre ich die Marke eigentlich nur noch.“ Durchaus auch gern mal recht zügig, wie er in einem Interview mit einem Autohaus bekannte: „Unter 200 km/h bin ich kaum unterwegs.“ Da er aber meistens nachts oder sehr früh morgens auf der Straße ist, liegt das auch nahe. Er könnte sich aber auch durchaus vorstellen, einen Rasenmäher gemächlich über eine Wiese zu steuern, „allein schon wegen des Geruchs von frisch geschnittenem Gras.“

Die elektronische Musik wird zwar mit Jugendkultur identifiziert, die Partygänger in den Clubs bewegen sich aber altersmäßig zwischen zwanzig und Mitte vierzig. Auch wenn Hells Musik kein Teenie-Ding ist, stellt sich dennoch die Frage, wie lange er das Clubleben noch mitmachen will. „Es gibt wenig Erfahrungswerte im DJ-Bereich“, erklärt er, „ich gehöre der Generation an, die da zum ersten Mal an Grenzen stoßen wird. Es hängt natürlich auch von körperlichen Faktoren ab, ob z. B. die Ohren mitspielen. Auf jeden Fall werde ich immer mit Musik in Berührung sein. Ich kann nicht mit 65 oder 70 in Rente gehen, was soll ich dann machen?“ Will er vielleicht sogar hinter seinen Plattenspielern sterben? Hell lacht: „Turntables wird es da schon nicht mehr geben.

Bernhard Roetzel